Cemal Güzel  Keupstr. 23

Cemal Güzels Familie stammt aus Dersim in Ostanatolien und gehört zur ethnischen Minderheit der Zaza. Er ist 1968 geboren, kurz ehe sein Vater auf Einladung eines Schwagers nach Weil am Rhein kam. Von dort aus zog er zuerst nach Mannheim, wo er von Verwandten erfuhr, dass Ford Arbeiter suchte, und so kam er 1972 nach Köln. Er fand ein Zimmer in der Keupstraße und ließ bald seine Frau nachkommen. Cemal und zwei nachfolgende Geschwister waren in der Heimat geblieben und gingen dort in ein Internat. 1974 kam er mit seinen Geschwistern zum ersten Mal nach Köln, um die Schulferien mit seinen Eltern zu verbringen, die inzwischen in Buchheim lebten. Lachend erinnert er sich, wie ihn das Fernsehen beeindruckt hat: „ich kam aus einem Dorf ohne Fernseher, denn wir hatten keinen Strom!“ Auch die Fruchtgummis, die er von den Vermietern, einem älteren deutschen Ehepaar bekam, sind eine bleibende Erinnerung, und der kleine Blumenladen an der Ecke, wo sein erster deutscher Freund zu Hause war. Wie haben sie sich denn verständigt? „Mit Händen und Füßen, wie Kinder sich halt verständigen, und nach drei Monaten Ferien konnte ich auch schon ganz gut deutsch sprechen.“

1980 fanden die Eltern in der Alte Wipperfürther Straße eine sechzig Quadratmeter große Zweizimmerwohnung, ohne Bad. Sie ließen ihre Kinder nachkommen und im November wurde der jüngste Bruder geboren. Es sollte noch vier Jahre dauern, bis sie 1984 in eine Dreizimmerwohnung ziehen konnten, in die sie selbst ein Bad einbauten. Cemal kam nach seiner Ankunft in eine Vorbereitungsklasse und dann in die 7. Klasse der Hauptschule in der Riccarda-Huch-Straße. 1983 verließ er die Schule mit der Mittleren Reife und trat eine Lehrstelle als Maschinenschlosser bei KHD an. Anschließend arbeitete er bei einem Kraftwerkbau von Siemens und nach dessen Abschluss ging er zurück zu KHD, wo er bis 1988 am Fließband stand. Von 1988 bis 1992 war er als Maschinenschlosser bei Ford beschäftigt, dann beschoss er zu kündigen und sich selbständig zu machen. Er hatte inzwischen geheiratet, ein junges Zazamädchen aus Hamburg. Seine und ihre Eltern kannten sich, und sie hatten ein Treffen der jungen Leute arrangiert, das in gegenseitige Zuneigung mündete. Sie waren beide sehr jung – er 21 und sie 18 – als sie nach der Verlobungsfeier in der Türkei 1990 in Bornheim heirateten: „An Weiberfastnacht! Es gab keinen anderen freien Termin, und die Standesbeamten waren so freundlich, an diesem speziellen Tag zu arbeiten und uns zu verheiraten!“

Das junge Paar hatte 1992 - nach gründlicher Marktanalyse in der Keupstraße und Umgebung – beschlossen, als Automatenaufsteller im Kölner Raum zu arbeiten, was sich als lukratives Geschäft erwies. Nach der Heirat lebte das junge Paar einige Jahre in einer 90 Quadratmeter großen Wohnung in der Bergisch Gladbacher Straße, ehe die Familie 2010 endlich ihre Eigentumswohnung von 120 Quadratmeter in Leverkusen beziehen konnte. 1993 wurde Sohn Cem geboren, 1999 folgte ein Mädchen, Ceyida. 1993 war Cemals Vater mit nur 48 Jahren an akutem Diabetes gestorben, als sein jüngster Sohn erst 13 Jahre alt war. Es war eine schwere Zeit für alle, aber vor allem für die Mutter, und Cemal als ältestem Sohn fiel die Rolle des Familienvorstands zu. Die Mutter lebt in Mülheim. Der drei Jahre jüngere Bruder arbeitet als Betriebsschlosser bei Ford. Die Schwester hat Sozialpädagogik studiert, ist berufstätig und lebt mit ihrer Familie in Gummersbach. Der jüngste der Brüder versucht seinen Lebensunterhalt als Selbständiger zu verdienen.

Neben der Arbeit als Automatenaufsteller ergab sich 2006 die Gelegenheit, mit der Übernahme eines Lebensmittelgeschäfts in der Keupstraße 23 das Geschäftsmodell zu erweitern. Eigentlich hätte dort ein Café eröffnet werden sollen, für das leider keine Zulassung erteilt wurde, angeblich weil die Keupstraße an erster Stelle ein Wohngebiet sei. Dann wurde kurzfristig ein Laden für Trockenfrüchte daraus, der sich leider auch nicht rentierte. Nachdem der Laden ein Jahr ungenutzt geblieben war, weil die Behörden sich weiterhin weigerten, eine Lizenz für ein Restaurant mit Ausschank zu erteilen, entschied man sich für die Eröffnung eines Kiosks. Cemal Güzel setzt dabei seinen Ehrgeiz auf eine größtmögliche Auswahl an Artikeln und - vor allem bei Zigaretten und Getränken – auf möglichst viele Sorten. Darüber hinaus reicht das Angebot von Yoghurt über Deo zu Heftpflaster, daneben bietet der Kiosk Dienste für Geldüberweisungen, Lotto, Post und Telefonkarten an. Das Geschäft läuft sehr gut, es gibt sowohl Stamm- als auch Laufkundschaft, vor allem von jungen Leuten, welche die diversen Konzerte und anderen Events in der Schanzenstraße besuchen. Besitzer des Hauses und Vermieter des Ladengeschäfts war Wolfgang Becker (s. Interview 2), zu dem sich bald ein freundschaftliches Verhältnis entwickelte, und als er sich 2012 entschloss, das Haus zu verkaufen, wurden sich beide schnell einig: „Wir sind Herrn Becker sehr dankbar, dass er sich für uns entschieden hat.“ Die Familien sind weiterhin befreundet: „Wir laden uns gegenseitig ein, meist zwei Mal im Jahr.“ Cemal Güzel hat viel investiert, nicht nur in die schöne Fassade, sondern auch im Haus selbst. In den beiden kleinen Wohnungen in den Obergeschossen leben weiterhin die Mieter, die schon vorher dort wohnten.

Beim NSU-Nagelbombenanschlag 2004 war er nicht in der Keupstraße, zu jener Zeit gab es in der Nr. 23 noch den Trockenfrüchteladen. Aber er denkt immer noch mit Bitterkeit an die Art und Weise, in der Polizei, Politik und Medien mit den Menschen in der Keupstraße umgingen: „In einer Reportage bei RTL wurde die Keupstraße als Drogen- und Kriminalitätshochburg bezeichnet!“ Das schmerzt ihn noch heute, auch die Erinnerung an die Atmosphäre des Misstrauens und Verdachts, die durch das Verhalten der Polizei unter den Bewohnern der Keupstraße entstand: „Keiner traute mehr dem Anderen, man befürchtete verdächtigt zu werden, und man selbst verdächtigte die Anderen“.  Umso erfreulicher findet er das positive Interesse für die Keupstraße, seit „Kommissar Zufall“ den Nagelbombenanschlag aufgeklärt hat, und das vor allem den Birlikte-Festen zu verdanken ist, die in Zukunft seiner Meinung nach gut zwei Tage statt nur einen stattfinden sollten. „Die Keupstraße ist ein Magnet über die Grenzen Kölns hinaus, vor allem für die türkische Community, und darunter insbesondere für die Künstler, die in Köln und im Umland auftreten, aber auch zunehmend für Deutsche.“ Störend sind nur die häufigen Kontrollen von allen möglichen Behörden: Ordnungsamt, Zollamt, Umweltamt – und die Politessen kontrollieren in drei Schichten! Tatsächlich sind der Autoverkehr und besonders der Mangel an Parkplätzen ein Dauerproblem, sowohl für die Geschäftsleute als auch für die Besucher der Keupstraße. „Wenn es einen geeigneten Parkplatz an der Schanzenstraße/Keupstraße gäbe, könnte die Keupstraße für den Autoverkehr gesperrt werden, das wäre ein Gewinn für alle!“