Wolfgang Becker,  Keupstr. 23

Wolfgang Becker ist 1947 in der Keupstraße 2 im Dreikönigenhospital geboren und in der Nr. 23 aufgewachsen. Hier hat gelebt, bis er 1972 in die Südstadt gezogen ist. Er ging zuerst in den Kindergarten in der Langemaßstraße, dann die ersten Schuljahre in die Volksschule in der Hacketäuerkaserne an der Tiefentalstraße, und ab 1956 in die fertiggestellte evangelische Volksschule in der Mülheimer Freiheit. 1957 kam er aufs städtische Mülheimer Jungengymnasium – jetzt Rheingymnasium - in der Düsseldorfer Straße, wo er 1966 das Abitur machte. Er studierte in Köln BWL und war von 1973 bis 2004 als Angestellter in der Verwaltung der Lufthansa beschäftigt. Er ist im Vorstand des SPD-Ortsvereins Südstadt, Geschäftsführer der SPD-Fraktion in der Bezirksvertretung Innenstadt und Vorsitzender der Gemeinschaft ehemaliger Lufthanseaten in Köln

 

Wolfgang Beckers Großeltern mütterlicherseits sind vor dem 1. Weltkrieg in die Keupstraße gekommen und in das Haus Nr. 23 gezogen, das um 1900 gebaut worden war. Sie haben dort das Textilwarengeschäft Max Buchholz eröffnet, in dem insbesondere Hüte, Mützen, Schirme und Kurzwaren - vor allem Produkte der Firma Brügelmann - verkauft wurden. Eigentlich hat seine Oma Martha Schmelzer, geb. Blech, verw. Buchholz das Geschäft gegründet - Opa Max Buchholz war Maschinist und ist im 1. Weltkrieg gefallen. Sie hat das Haus um 1913 gekauft. Wolfgang Beckers Eltern haben 1935 geheiratet und dann den Betrieb übernommen. Als der Vater 1939 zur Flak eingezogen wurde, hat die Mutter den Laden alleine weitergeführt und mit dem 1935 geborenen Bruder den Krieg in Köln und Hoffnungstal überstanden. Neben der Oma lebte im ersten Stock auch eine Tante mit ihrer Tochter, während Familie Becker den 2. Stock bewohnte, wo vor allem die Schlafzimmer waren, weil sich Büro und Küche im Erdgeschoss hinter dem Ladengeschäft befanden. Die gemeinsame Toilette war im Zwischengeschoss des Anbaus.

 

Als die Bombenangriffe auf Köln zunahmen, zog die Familie nach Hoffnungstal, wo sie bis zum Kriegsende blieb. Auch ihr Haus in der Keupstraße wurde von einer Bombe getroffen, aber durch das schnelle Eingreifen des Chefs der Werkfeuerwehr von F & G – mit dem die Familie befreundet war – konnte der Brand schnell gelöscht werden. Der Vater kehrte 1945 nach kurzer amerikanischer Gefangenschaft in Andernach zurück, und bald nach dem Krieg und den Aufräumarbeiten öffneten viele Geschäfte in der Keupstraße wieder. In den 50er Jahren existierten in fast jedem Haus Läden, darunter auch eine ganze Anzahl Textilgeschäfte. So eröffnete die Tante im Anbau des Hauses Nr. 23 ein Geschäft für Taschen, und später für Spielwaren. Später verlegte sie den Laden in das „Hutzelhäuschen“, direkt gegenüber auf der anderen Straßenseite, nachdem das Textilgeschäft Dünhoff dort geschlossen hatte. Nebenan war in einer ausgebrannten Ruine der Zigarrenladen Bongard im Erdgeschoß.

 

Es gab durch den Bombenkrieg auch einige Ruinen in der Keupstraße, die nach dem Krieg im Laufe der Jahre wiederaufgebaut wurden. Diese Ruinengrundstücke waren als Spielgelände sehr beliebt, aber auch gefährlich. Sehr wichtig war für uns Kinder das Eisgeschäft Grosser gegenüber in der Nr. 52, als das Bällchen Eis noch 10 Pfennig kostete. Nebenan war das Lebensmittelgeschäft Steimel in der Nr. 21, hier befindet sich jetzt ein Imbissladen.

 

Dank des allgemeinen Wirtschaftswachstums und der wachsenden Anzahl von Beschäftigten bei F&G florierte der Handel in der Keupstraße, auch die Kneipen hatten großen Zulauf, vor allem freitags nach der Lohnauszahlung. Wobei es nach reichlich Alkoholgenuss auch zu Randale und Schlägereien kam. Während die ungelernten Arbeiter sich nach der Arbeit in der Kneipe Köster, später Faßbender, trafen, gingen die Facharbeiter zu Schierbaum, die Angestellten zu Scholl und die „besseren Leute“ frequentierten das bürgerliche Gasthaus zum Laacher See (später Müffler), das auch Mittagstisch und Tanzveranstaltungen bot.

 

Ab Ende der 60er Jahre kamen monatlich 80.000 türkische Arbeitskräfte nach Deutschland. In Köln arbeitete eine große Anzahl von ihnen bei Ford und in Mülheim auch bei der Schamottefabrik Martin und Pagenstecher in der Schanzenstraße. Hier waren die Arbeitsbedingungen sehr schlecht und führten häufig zu Erkrankung und Tod durch Staublunge. Anfangs wohnten die Türken in Wohnheimen, dann kamen die Familien nach, und allmählich veränderte sich die Keupstraße. Während der 60er Jahre wurde das Kopfsteinpflaster der Keupstraße durch einen Asphaltbelag ersetzt. Die kurz nach dem Krieg notdürftig wieder aufgebauten Häuser in der Keupstraße wurden in den 70er Jahren renoviert und modernisiert. So wurden die beiden Häuser mit dem Textilgeschäft Dünhoff und dem Zigarrenladen Bongard, die durch Bomben erheblich zerstört worden und in einem sehr schlechten Zustand waren, von Herrn Pohl gekauft, der einen Gemüseladen unter der Mülheimer Brücke betrieb. Er baute sie als ein Haus komplett neu auf und sein Sohn wohnt immer noch in der Wohnung im ersten Stock. Im Erdgeschoss ist heute das Restaurant Asmali Konak. Wolfgang Becker kaufte Anfang der 80er Jahre das Haus Nr. 23 aus der Erbengemeinschaft und renovierte es. In den oberen Stockwerken entstanden abgeschlossene Wohnungen, man erneuerte die Wasser-, Abwasser- und Stromleitungen und installierte moderne Sanitäranlagen.

 

Allmählich wurden die Keupstraßenkinder erwachsen, sie heirateten und zogen mit ihren jungen Familien in die großen Neubaugebiete, wie die Stegerwald- oder Bruder-Klaus-Siedlung. Als dann die alten Eltern starben, zogen türkische Familien ein, was anfangs überhaupt nicht auffiel. Und bald entstanden die ersten türkischen Geschäfte: das Fahrradgeschäft Kochan neben dem jetzigen Restaurant .Asmali Konak ist schon über 10 Jahre ein türkischer Juwelier, auf der anderen Seite entstand mit dem „Mevlana“ das erste türkische Restaurant, damals noch sehr bescheiden. In den 80er Jahren begannen dann die Türken Häuser und Wohnungen zu kaufen. Nach dem Tod der Mutter gaben die Beckers das Geschäft auf und veranstalteten aus diesem Anlass einen Totalausverkauf zu Tiefstpreisen, zu dem vor allem türkische Frauen strömten. Der Betreiber einer türkischen Teestube mietete daraufhin das ganze Haus und untervermietete es dann an Verwandte und Landsleute und es eröffnete dann ein Gemüseladen im Erdgeschoss. Wegen Unregelmäßigkeiten wurde das Mietverhältnis aber beendet und Wolfgang Becker nahm die Vermietung in eigene Hände. In der Folgezeit versuchten sich diverse Geschäftsleute als Obst- und Gemüsehändler. Später wurden im Laden Nüsse und getrocknete Früchte verkauft. Aber auch dieser Laden gab bald auf Grund mangelnder geschäftlicher Erfahrung wieder auf. Später übernahm Familie Güzel den Laden und richtete einen reichhaltig sortierten Kiosk darin ein, mit Geldtransfer und Lottoannahme. Dank seiner Tüchtigkeit läuft das Geschäft sehr gut. Mit der Zeit kam man sich näher, so dass Wolfgang Becker vor zwei Jahren das Haus an ihn verkauft hat, obwohl es noch eine ganze Reihe anderer Interessenten gab.

 

Auch in vielen anderen Häusern änderten sich Besitzer und Nutzung. Die Metzgerei Lippegaus in der Nr. 84 machte der Konditorei Özdag Platz, die Protagonisten einer Fernsehserie wurden. Im ehemaligen Fotoladen Penningsfeld in der Nr. 58 ist jetzt ein Import- Exportgeschäft. Um sich von seinem Onkel in der Frankfurter Straße abzugrenzen, nannte der Sohn sein Geschäft Foto-Gregor am Neumarkt. Sehr lange hat sich das Lederwarengeschäft Osterroth in der Nr. 68 gehalten, das dann vorübergehend von einem Bordell abgelöst wurde. Mit der Gaststätte Kühbach in der Nr. 69 schloss die letzte deutsche Kneipe in der Keupstraße.