Mülheimer Brücke –

was war und was sein könnte

Eine Übersicht zum Tag des Denkmals am 03.09.2009 von Peter Bach

Was war:

Ein Blick zurück findet ja, wie sollte es auch anders sein, immer in der Gegenwart statt. Von daher ist er unweigerlich verbunden mit Gefühlen, einem Gefühl der Freude (schön, dass es heute besser ist) oder auch einem Gefühl der Trauer (schade, dass wir das verloren haben).

 

Was ist:
Das wissen Sie selbst am besten: ein hübsches Wohnviertel, direkt am Rhein im Schatten eines imposanten Bauwerks, das etwas vor sich hingammelt.

 

Was könnte sein:
Bei uns ist es heute zusätzlich mit der Fragestellung verbunden, können wir uns das, um das wir trauern wiedererschaffen und bei den Planungen der Zukunft wieder zu neuem Leben erwecken?

 

Also, was Sie heute erwartet, ist keine allein nostalgische Rückschau, sondern eine Rückbetrachtung und Gegenwartsbetrachtung mit dem Blick auf neue Gestaltungsmöglichkeiten.

Dazu die Akteure:

  • Thomas Luczak, stellvertretender Vorsitzender im Haus der Architektur Köln und Initiator des Brückenevents,
  • Prof. Polonyi, Referent zur unterschiedlichen Statik der beiden Brücken,
  • Die Architekten Hertel Kilian Reichle und der Landschaftsarchitekt Dirk Melzer mit ihrem Entwurf der den 1. Preis erhalten hat.
  • Frau Drewermann vom Stadtplanungsamt wird einige Worte zum Stand der Planung vortragen.
  • Practise Pad, musikalisch künstlerisches Entwicklungsteam für die Brücke
  • der Vielen bekannte Mülheimarchivar Peter Schmitter mit seiner Ausstellung
  • mein Name ist Peter Bach von der Mülheimer Geschichtswerkstatt


Mülheim 1600
Ein Bauerndorf, vielleicht um die 600 Einwohner, übersichtlich, ob gemütlich, kommt auf die Lebensumstände an. Die heutige Struktur ist erkennbar an der heutigen Mülheimer Freiheit, der Buchheimer-, Stöcker-, Bach-, Formes- und Wallstraße. (In der Tat hatte Mülheim immer nur einen Wall und nie eine Mauer. Das hat Köln dreimal verhindert.) Deutlich erkennbar, die Strunde. Sie wird prägend für die weitere Entwicklung der Stadt.

Die Strunde
Fängt sie in Herrenstrunden so harmlos an, so wusste man schon, dass sie Großes vollbringen wird. Sie trieb in ihrem knapp 20 km Verlauf nicht nur 36 Mühlen an, die letzte davon, die Dominikusmühle hier an der Bachstraße, und versorgte zwei Papierfabriken, sie bildete auch die Warft, die schon früh Mülheim mit einer strömungsarmen Anlegestelle für Schiffe versorgte.

 

Mühlen, das hieß Anlieferung von Korn und Raps, Abholung der Fertigprodukte, Kneipen zum Ausruhen und Warten, Werkstätten zur Überholung von Vieh und Wagen, Fassbau, kurzum, Mülheim wurde von einem Bauerndorf zu einem Ort des Handwerks und Genusses. Muslime erfahren eine besondere Kräftigung ihres Glaubens durch eine Pilgerfahrt nach Mekka – zum Ursprungsort des Islam.

 

Vielleicht sollten wir Mülheimer doch hin und wieder mal zur Quelle der Strunde pilgern, um uns neuen Auftrieb zur Gestaltung unseres Umfelds zu holen. Es ist nicht so weit wie Mekka, es ist nicht so voll und gemütliche Gast- und Rasthäuser gibt es auch: 15 km in diese Richtung! Zu Fuß oder mit dem Fahrrad und auf dem Weg fühlen sie auch die 200 m Gefälle, die der Strunde auf ihrem Weg nach Mülheim die Kraft geben, 36 Mühlen anzutreiben.

 

Bei der Betrachtung des idyllischen Ortes der Strundemündung darf ein Bild nicht unerwähnt bleiben, nämlich dieses: Vor 225 Jahren, der Bärenhof in der Buchheimer Straße stand bereits  vier Jahre, hatte Februar 1784, nach einem ungewöhnlich harten Winter, bedingt durch eine warme Luftströmung, ein Tauwetter eingesetzt, das europaweit für Überschwemmungen sorgte. Der Hochwasserstand des Rheins betrug 13,55 m und er war 3 - 4,5 m stark zugefroren. Durch die Flutwelle von Süden verklemmten sich die Eismassen ineinander und verursachten einen Stau. Bei Westhoven brach das Wasser in einen alten Rheinarm und lief parallel zum Rhein genau hier, wo wir uns befinden, in den Strom zurück. Dabei wurde ein Drittel von Mülheim, der ganze Teil südlich der Buchheimer Straße mitgerissen.

 

161 Häuser wurden zerstört und 100 stark beschädigt. Durch die frühzeitige Warnung und die intensive gegenseitige Hilfe kamen aber nur 21 Menschen ums Leben. Von 2.500 Bewohnern waren danach 1.800 obdachlos.

 

Die Mülheimer Bötchen
Natürlich wurde immer gefischt und überquert. 1268 bekam das Kloster Altenberg vom Grafen von Berg die Genehmigung zum Fährdienst mit Nachen. Die eigentliche Geschichte der Mülheimer Bötchen begann im Oktober 1852 mit der l’ Avenir (die Zukunft) und umfasst bis 1920 37 Schiffe mit einem Personenfrachtvermögen bis zu 1.200 Personen (die „Stadt Düsseldorf“ 1907 -  1925). 1893 z. B. benutzen täglich, je nach Jahreszeit 2.000 - 4.000 Personen die Köln-Mülheimer Fährschiffe. Richtig geendet ist die Zeit der Mülheimer Bötchen ja immer noch nicht. Wenn 2010 oder 2011 für einige Monate die Brücke gesperrt wird und die  anderen Rheinübergänge verstopft sind, wer weiß, was das wieder für einen Fahrgastaufschwung gibt.

Die Schiffbrücke 1888-1927
Von 1850 bis 1900 war die Einwohnerzahl Mülheims von 6.000 auf 45.000 gestiegen. Die einheimische Industrie war gewachsen und 1874 war noch F & G dazugekommen. Es entstand das Wohn- und Industriegebiet nördlich des heutigen Clevischen Rings, damals noch der Köln-Mindener und der Bergisch-Märkischen Eisenbahn.

 

Eigentlich war die Schiffbrücke von Anfang an ein Provisorium. Ständig musste sie für Durchfahrten geöffnet werden und bei Hochwasser und Eisgang fiel sie ganz aus. Während aber die Mülheimer Bötchen, die lange Zeit in der Nähe des Kohlplatzes anlegten, den Aufschwung der Buchheimer Straße bewirkten, förderte die Schiffbrücke die Entwicklung der Stöckerstraße und Bachstraße zu lebendigen wirtschaftlichen Zentren Mülheims – wobei wirtschaftlich auch wörtlich genommen werden kann. Die ehemals kleinen Hütten der Arbeiter und Tagelöhner, wie hier noch in der Altstraße, wichen stattlichen zwei- und dreistöckigen Bürgerhäusern.

Die 1. Mülheimer Brücke vom 13.10. 1929 bis 14.10.1944
Die Debatte um die Mülheimer Brücke dauerte 14 Jahre. Sie begann 1913 im Zusammenhang mit der Eingemeindungsdiskussion Mülheims nach Köln und endete erst kurz vor der Grundsteinlegung 1927. Sie betraf Standort und Typ der Brücke. Es waren sieben Standorte in der Diskussion. Die zwei in der nebenstehenden Abbildung blieben über und der mitten in die Mülheimer Altstadt wurde schließlich gewählt.

 

Das bedeutete:

Den Abriss von 70 Häusern mit 315 Wohnungen und 57 Gewerbebetrieben und die Umsiedlung von Hunderten von Menschen. Was den Rat letztlich dazu bewogen hat, diesen Nachteil für die Mülheimer zu beschließen, ich weiß es nicht. Der Streit über den Brückentyp ist genügend kolportiert worden. Auf jeden Fall war der damalige Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer wohl stark an dieser Hängebrücke interessiert und hat sie mit allen Tricks durchgesetzt.

 

Sie war mit ihrer Länge von 708 m zu ihrer Zeit die größte Hängebrücke Europas. Und was es bedeutet, dass es eine Hängebrücke mit aufgehobenem Horizontalschub war, wird uns sicher Prof. Polonyi erklären.

Die Brücke veränderte nicht nur das Stadtbild von Mülheim sondern auch seine Struktur. Wie die Bötchen die Buchheimer Str. zum Zentrum gemacht hatten und sich durch die Schiffsbrücke in der Stöcker- und Bachstraße Handwerk und Genuss entwickelten, verschob sich durch die Hängebrücke das Mülheimer Zentrum Richtung Wiener Platz, damals Oskarplatz, und Frankfurter Straße. Die älteren Teile Mülheims lagen im Schatten der Brücke, aber ein Teil ihrer alten Lebendigkeit war erhalten geblieben. Das änderte sich durch den 2. Weltkrieg.

 

Der Kriegswahnsinn ließ der Brücke nur ein Lebensdauer von 15 Jahren und einem Tag: am 13. Oktober 1929 eingeweiht, sank sie schon am 14. Oktober 1944 in den Rhein, getroffen durch eine Fliegerbombe, die ihr Ziel genau in der deutschen Sprengkammer fand. (einige Monate später hätte die deutsche Reichswehr sie vermutlich, wie alle anderen Kölner Brücken, selbst gesprengt. Zwei Wochen später, am 27. Oktober 44 zerstörte ein alliierter Bombenangriff die gesamte Mülheimer Altstadt.

Die 2. Mülheimer Brücke
Notwendigerweise stellten jetzt für fast sieben Jahre die Bötchen wieder die Verbindung von Mülheim nach Köln her. Mit dem Neubau der jetzigen Brücke wurde 1949 begonnen und am 9. September 1951 wurde sie eingeweiht – wieder durch Konrad Adenauer, aber diesmal als Bundeskanzler.

 

Damals sah Mülheim noch so aus: Die 2. Brücke stand exakt an der Position der ersten und die Rampenbauwerke wurden zum großen Teil wiederbenutzt. Sie hatte die gleiche Größe und fast die gleiche Breite wog aber weniger als die Hälfte der alten Brücke.

 

Auch da wird Prof. Polonyi uns vermutlich erklären können, was eine erdverankerte Hängebrücke mit orthotroper Fahrbahn ist.

 

Die Brücke war schön, aber das Viertel gewann seine alte Attraktivität nicht wieder. Es liegt vermutlich nicht an der Lage. Seitdem es keine alljährlichen Überschwemmungen und Hochwasser in den Kellern mehr gibt, ist die Nähe des Rheins eher Wohnwert als Plage. Es liegt an den Begleitumständen. Das Brückenbauwerk wirkt marode, und lädt in dieser Verfassung geradezu zur Vermüllung ein.

Ausblicke und Pläne:
Mängel sind erkannt, eine Brückensanierung steht an. Ich habe, leider fast im Dauerlauf, die Ausstellung im Bezirksrathaus mit den Ergebnissen des Wettbewerbs zur Neugestaltung der Brückenbauten und des Umfelds besucht und einige Fotos gemacht. Ich habe einige ausgesucht, die am ehesten meine Fantasie angeregt haben. In der Vorbereitung des heutigen Tages habe ich festgestellt, dass egal wer die Umgestaltung durchführt, er gut damit beraten ist, mit den Anwohnern in Brückennähe zu sprechen. Sie sind echte Experten ihres Stadtviertels.

 

Die wenigsten leben hier schon 88 Jahre, wie Frau Diel aus der Formesstraße, ich habe aber in kurzer Zeit doch viele Leute sprechen können, die seit Kindheit und Jugend in unmittelbarer Brückennähe wohnen. Die Älteren sprechen viel über die verloren gegangene Nähe zu den Nachbarn, über das weniger an: "man kennt sich und man hilft sich“. Aber ist es verloren gegangen oder nur zurückgegangen? Ist es wiederbelebbar? Stadtplaner und Architekten können Künstler sein, dafür den passenden Rahmen zu schaffen. Vielleicht verhilft ja sogar jemand der Strunde wieder ans Tageslicht!

 

Hier einige Eindrücke der diskutierten Pläne:
Einige der Verfasser und besonders Kilian Reichle, vom Büro der Sieger des Wettbewerbs sind hier und stellen sich gerne der Diskussion.