Ayshe Halilova Keupstraße 59

Ayshe Halilova stammt aus Schumen, einer 1500 Jahre alten geschichtsträchtigen, multiethnischen Stadt mit ungefähr 90.000 Einwohnern, westlich von Warna am Schwarzen Meer. Das alte Schumen mit seiner Festung lag auf einem Berg, es wurde 1387 von den osmanischen Truppen besetzt und 1444 in einem polnisch-ungarischen Befreiungsversuch von polnischen Truppen niedergebrannt und nach seiner vollständigen Zerstörung von seinen Einwohnern verlassen. Nach ihrer Rückkehr beschlossen sie, die Stadt im Tal neu anzulegen.

Ayshe Halilova wurde 1963 geboren und gehört zur muslimischen Minderheit in Bulgarien, die ca. 10 Prozent beträgt. Allerdings spielt die Religion in Bulgarien keine bedeutende Rolle, in der Volkszählung von 2011 machten 20 Prozent der Bevölkerung keine Angaben zur Religionszugehörigkeit. Sie ist die jüngste von vier Schwestern. 1981 hat sie sehr jung, mit 18 Jahren, ihren Mann geheiratet. Ihr erster Sohn, Hassan, wurde 1984 geboren, zwei Jahre später folgte der zweite, Hüseyin. Beide sind mit ihr zwei Jahre nach der Scheidung von ihrem Mann nach Deutschland gekommen. Inzwischen sind beide verheiratet und leben mit ihren Familien ebenfalls in Köln, sie hat eine kleine Enkelin. Warum sie ihre Heimat verlassen hat? „Ich bin ausgebildete Schneiderin, aber es gab keine Arbeit in meiner Heimat. Und außerdem wollte ich die Welt kennen lernen, auch Amerika würde ich gerne sehen.“   

Sie kam 2002  von Schumen direkt nach Köln, wo bereits eine Nichte von ihr lebte. Ganz zufällig fand sie eine Wohnung in der Keupstraße 39. Sie verliebte sich in einen Türken, und im Oktober 2004 bekam sie ihren dritten Sohn, Egüven. Im Juni 2004, als sie im 6. Monat schwanger war und vom Einkaufen am Wiener Platz zurückkehrte, fand sie die Keupstraße abgeriegelt, voller Polizei und alles in heller Aufruhr – während ihrer Abwesenheit hatte es eine heftige Explosion gegeben, und überall lagen Glassplitter, Stangen und andere Fassadenteile. Bis spätabends konnte sie nicht in ihre Wohnung und verbrachte den Tag bei ihrer Freundin, in banger Ungewissheit, aber sehr erleichtert, dass sie zur Zeit der Explosion nicht in der Keupstraße war. Im August 2004 zog sie in eine Wohnung am Ebertplatz. Der Vater des Kindes verließ sie bald wegen einer anderen Frau, mit der er später nach Bulgarien zog.

Kurz nach ihrer Ankunft in Köln hatte sie erfahren, dass eine türkische Änderungsschneiderei in der Keupstraße eine Aushilfe suchte, stundenweise und für ein paar Tage in der Woche. Als ihr kleiner Junge drei Jahre alt war und in den Kindergarten gehen konnte, beschloss sie ihren Lebensmittelpunkt wieder nach Mülheim zu verlegen, wo sie eine Wohnung in der Fritz-Lehmann-Straße fand. So konnte der kleine Junge vom Kindergarten – und später von der Schule – zu ihr in die Schneiderei kommen, und sie gingen später gemeinsam nach Hause. Inzwischen ist Egüven 11 Jahre alt und geht in die Gesamtschule in Höhenhaus. Es ist nicht leicht, einen Jungen ohne Vater zu erziehen. Aber sie unternehmen viel gemeinsam, gehen zusammen ins Schwimmbad und ins Schokoladenmusem: „Köln ist so eine interessante Stadt, da gibt es viel zu sehen und zu erleben, und es leben hier so viele Menschen aus unterschiedlichen Ländern!“

Als ihr Chef und Inhaber des Geschäfts 2007 in Rente und zurück in die Türkei ging, überließ er ihr die Änderungsschneiderei mit allen Maschinen und Zubehör. Das Geschäft läuft gut, immerhin hat sie 33 Jahre Berufserfahrung und inzwischen eine feste Stammkundschaft. Die Tatsache, dass sie schon vor ihrer Ankunft Türkisch sprach, hat ihr das Leben in der Keupstraße sehr erleichtert, aber dadurch hatte sie auch wenig Anreiz ernsthaft Deutsch zu lernen. Sie hat jetzt vor besser Deutsch zu lernen und ist sehr zuversichtlich, dass sie es schafft: „Ich sprach ja schon drei Sprachen -  Bulgarisch, Türkisch und Russisch – als ich nach Deutschland kam!“

Alle diese Jahre hatte sie für eine eigene Wohnung gespart, die sie dann endlich in Köln-Rath kaufen konnte, und in die sie am 1. April 2015 einzog. Sie freut sich in Rath zu wohnen: „Es ist so ruhig und grün!“ Da sie so hart für die Wohnung sparen musste, hat sie jahrelang keinen Urlaub nehmen können und auch dieses Jahr fehlt das Geld für eine Urlaubsreise – es gibt noch so viel in ihrer Wohnung zu renovieren. Sie denkt mit Wehmut an den schönen Urlaub mit ihrer türkischen Freundin in Didim, an der Ägäisküste der Türkei. In Bulgarien war sie das letzte Mal 2014, zur Beerdigung ihrer Mutter. Trotz des Umzugs fühlt sie sich auch in der Keupstraße weiterhin zu Hause: „Die Leute hier sind sehr freundlich, viel freundlicher als anderswo. Zum Beispiel grüßt man sich gegenseitig auf der Straße, auch wenn man sich nicht kennt. Aber alle Geschäftsleute hier kennen sich und helfen einander, sie laden sich gegenseitig ein.“ Einige Jahre litt sie, wie alle anderen in der Keupstraße, unter dem schlechten Ruf, den ihnen der Nagelbombenanschlag beschert hatte. Aber inzwischen sind Zusammenhalt und Stimmung wieder gut. Es gibt nur ein großes Problem: der Mangel an Parkplätzen und die Rücksichtslosigkeit, mit der manche Autofahrer ihren Wagen auf Privatparkplätze stellen, so dass sie manchmal lange warten muss, bis der Besitzer seinen Wagen wegfährt, und sie zu ihrem Auto gelangen kann. „Die Keupstraße sollte eine autofreie Einkaufstraße werden, nur für Fußgänger, wie die Schildergasse!“, das ist ihr Wunsch. Außerdem wünscht sie sich eine größere Vielfalt von Geschäften in der Keupstraße: „Weniger Goldgeschäfte und dafür eine Bäckerei mit deutschem Brot, richtig gutem Schwarzbrot! Und wir brauchen einen Drogeriemarkt.“