Gurdwara

Bericht und Fotos von Brigitte Mihan

Vor Jahren erzählte mir ein junger Flüchtling aus Pakistan, er gehöre zu der Gemeinde der Sikhs. Sein Tempel sei auf der Kalk-Mülheimer-Straße.

Eingangsschild der Gurdwara Tempels an der Kalk-Mülheimer Straße.
Eingangsschild der Gurdwara Tempels an der Kalk-Mülheimer Straße.

Mit Sikhs verband ich zunächst die Männer mit einer Turban ähnlichen Kopfbedeckung und langen Bärten, kleine Jungs mit einem Tuchknäuel auf dem Kopf und eine Erinnerung, dass man in den achtziger Jahren die Ermordung der indischen Premierministerin Indira Ghandi einem Sikh anlastete.

Aber ein Tempel auf der Kalk-Mülheimer-Straße? Der wäre mir aufgefallen. Was mir jahrelang so gut wie nicht auffiel, war ein Schild mit der Aufschrift: Gurdwara. Doch genau das ist der Hinweis auf den Tempel, die Gebetsstätte, die Kirche der Sikhs-Gemeinde in unserem Stadtgebiet.

Eine lange Mauer verschließt den Blick in das Innere eines kleinen geheimnisvollen Lebens. Ich bin neugierig, wage mich durch einen sehr schmalen Eingang, stehe zögerlich in einem Innenhof, dessen trister Asphalt jegliche Phantasie an einen orientalisch- asiatischen Tempel vermissen lässt und wage mich in eine Halle, die früher vermutlich zu einem Werksgelände eines mittelständischen Industrieunternehmens gehörte. Dort treffe ich auf den ersten Mann mit Bart und Kopfbedeckung. Ich trage mein Anliegen vor und werde sehr höflich in ein Gebetshaus eingeladen. Aber vorher muss ich meine Schuhe ausziehen und mit einem kleinen Tuch, das mir gereicht wird, meine Haare bedecken.

 

Ich werde in eine große Halle geführt, die sich in zwei Hälften teilt. Auffallend sind große Schrifttafeln an den Wänden, in denen Texte in einer mir fremden aber sehr harmonischen Schrift und einer korrekten deutschen Übersetzung zu lesen sind.

Auffallend sind auch drei Männer verschiedensten Alters, mit und ohne Bart, die in der vorderen Halle auf dem Boden sitzen und eine Mahlzeit zu sich nehmen. Ein bisschen fernöstliche „Tempelromantik“ kommt bei mir im zweiten Teil des großen Saales auf. Denn dort steht bunt beleuchtet und mit Blumen geschmückt unter einem Baldachin der Altar, das Herz der Religion.

Nach diesen ersten Eindrücken werde ich gebeten, mich in den ersten Raum zu den Männern zu setzen, um etwas zu essen und zu trinken. In einer Küche wird täglich gekocht. Was ich zu essen bekomme, serviert in einem vierteiligen Tablett, ist für meinen Gaumen indische Küche europäisch angepasst. Dazu ein Tee. Zum Abschied vereinbare ich einen Termin mit einem Ehepaar der Gemeinschaft. Ich möchte mehr über diese Religion erfahren.

Grundpfeiler des Sikhismus

Eine Lektion hatte ich gelernt, ohne sie zu begreifen. Wer ein Gotteshaus-Gebetshaus-Tempel der Sikhs-Gemeinde betritt, wird zu einem gemeinsamen Essen eingeladen. Eine kleine vegetarische Mahlzeit und ein Becher Tee, eingenommen im Schneidersitz auf dem warmen Fußboden in der Vorhalle, sind Zeichen der Gastfreundschaft für jeden, der kommt. In der Religion der Sikhs wird nicht unterschieden zwischen Christen, Moslems, Menschen einer anderen Religion oder ohne eine Glaubensrichtung.

 

Schon bei meinem ersten Besuch fielen mir die Schrifttafeln an den Wänden auf. Da unter jedem Originaltext eine Übersetzung in deutscher Sprache steht, verschaffen sie mir sie mir einen ersten Eindruck über die Philosophie dieser Religion. Ihren Beginn findet sie im 15. Jahrhundert in den Lehren des Wanderpredigers Guru Nanak. Ihm folgen bis ins 17. Jahrhundert zehn weitere Gurus, die seine Lehre aufgreifen und mit ihren spirituellen Weisheiten vervollkommnen. Sie entwickelten die Schrift „gurmukhi“ mit der sie ihre Lehre den Nachkommen weiter vererbten.

Anfang des 18. Jahrhunderts ist dieser Prozess abgeschlossen. Ein Werk über 1.430 Seiten ist entstanden. Sein Titel ist Guru Granth Sahib. Damit drückt sich aus, dass durch das spirituelle Vermächtnis diesem Buch (Sanskrit: grantha) als Lehrer (Guru) Sahib (Herr) eine große Wertschätzung zu kommt.

 

Durch meine Gastgeber wird mir die Ehre zu teil, einen Blick auf die Reproduktion des

Buches zu werfen. Es liegt auf dem Altar unter einer dunkelbraunen, mit Goldfäden durchwirkten Brokatdecke. Aus einem Nebenraum wird ein junger Mann, ein Priester

gerufen, der befugt ist, das Buch vor unseren Augen zu öffnen. Mir wird erklärt, dass in diesem Buch die Lehre der Sikh in einer musikalischen Melodienfolge (Ragas) geschrieben wurde. Dabei sind verschiedene Sprachen des Indischen Subkontinents mit einbezogen, um den religionsübergreifenden Charakter der Sikh-Religion zu betonen. Die Texte dieses Buches, so muss ich es verstehen, können nur gesungen werden.

Ich werde zu einem Gottesdienst eingeladen.

 

Doch vorher will ich mir noch Einiges erklären lassen. Für die Sikh gibt es nur einen Gott, der weder männlich noch weiblich ist. Das Wort Gott ist nur ein Übersetzungsversuch in unser westliches Denken. Ich verstehe, ähnlich wie in der Lehre des Buddhismus sind wir und das ganze Universum beseelt von dem Göttlichen, was im Sikhhismus „die Wahrheit“ genannt wird. Sie ist universell, daher grenzenlos liebend, unendlich, unfassbar, feindlos namenlos, geschlechtslos.


Nach dem Tod wird die Seele auf Wanderung gehen und in irgendeinem Wesen (Wiedergeburt) zurückkehren. Der Wunschtraum ist allerdings, aus diesem Kreislauf der Wiedergeburten in Freiheit mit der Wahrheit eins zu werden.

 

Um jetzt nicht zu sehr ins Religions-Philosophische zu geraten, kehre ich zurück zu ganz pragmatischen Fragen. „Warum der lange Bart?“, wobei ich zugeben muss, dass die Bärte meiner Gesprächspartner sehr gepflegt aussehen. Sie lachen und erklären den Bart als ein respektvolles symbolisches Zeichen vor der Schöpfung. Der Turban hat einen historischen Hintergrund. In Indien trugen Menschen höherer Kasten einen Turban. Anderen Menschen war das verboten. Um die Gleichheit aller Menschen zu demonstrieren verhüllte der Guru Nanak seinen Kopf mit einem Turban. Als Zeichen der Gemeinschaft tragen alle Sikh einen Reifen am Arm. Meine Gesprächspartner betonen immer wieder, dass ihr höchstes Ziel die Friedfertigkeit mit allen Menschen ist. Das steht für mich in einem Widerspruch zu einem weiteren Symbol dieser Religion, einem Dolch. Ursprünglich wird mir erklärt, diente er als Hinweis auf die Verpflichtung, Menschen in Bedrängnis zur Hilfe zu eilen, wenn nötig mit Gewalt. Im Lauf der Jahrhunderte wurde die Zugehörigkeit zur Gemeinde der Sikh lebensgefährlich. Tausende Opfer grausamster Verfolgungen wurden nicht wehrlos hingenommen. Darin lässt sich auch die Ermordung der Präsidentin Indira Ghandi 1984 durch einen Sikh erklären.

 

Was mich als Frau besonders beeindruckt ist die Rolle der Frau in dieser Religion. Sie ist nicht nur den Männern gleichgestellt, sondern steht als Mutter und Gebärerin der Kinder im Ansehen über dem Mann.

Wie ein Mann kann sie Priesterin oder Kämpferin werden es ist ihr nicht verwehrt, einen Turban zu tragen. Hier in Deutschland zeigen sich die meisten Frauen leider nicht in ihrer traditionellen indischen oder pakistanischen Kleidung, doch zu Hause ist der Sari und die weite Hose in bunten Farben das angenehme bequeme Kleidungsstück. Gekocht wird zu Hause in der Regel vegetarisch, doch ist das kein Dogma.

Guru Nanak

Definition von Nanak

 

(1469–1539), indischer religiöser Führer und Gründer der Sikhism; als Guru Nanak bekannt. Er predigte, dass spirituelle Befreiung durch Meditation über Gottes Namen erreicht werden könnte. Seine Lehren sind in einer Reihe von Hymnen enthalten. Sie sind als Teil des Adi Granth gegenwärtig Shri Guru Granth Sahib ji.

 

Guru Nanak Dev, der erste Sikhs-Guru, (Grunder der Religion) lehrte drei Grundprinzipien:

Kirat Karo: Hart und ehrlich arbeiten

Wand Ke Chhako: mit den Bedürftigen teilen

Naam Jappo: den ganzen Tag über an Gott denken


1. Glauben an nur einen allmächtigen Gott.
(Es gibt nur einen Gott. Er ist ungeboren, allmächtig, endlos, formlos, allwissend, allvorherrschend und allgegenwärtig)


2. Alle Menschen sind gleich.
Wir sind Gottes Kinder. Keiner ist keiner, höher oder niedriger aufgrund seiner Geburt, seines Geschlechtes, seiner Position oder seines Reichtum.

3. Frauen und Männer haben den gleichen Status und die gleichen Rechte.
Zitat aus Shri Guru Granth Sahib, Heilige Granth der Sikhs:

„Von der Frau ist der Mensch geboren, von ihr sind Könige geboren.
Von Frau ist Frau geboren; ohne eine Frau, würde niemand Leben geben.“  

4. Der Glaube: Man muss vollkommen an Gott glauben.
Das Wort Sikhismus bedeutet: der Weg des Schülers. Der Schüler (Sikh) muss den Lehren des Guru Nanak folgen.

5. Die Liebe zu Gott:
Wir können Gott nur lieben, wenn wir aufhören, uns selbst zu lieben. 
Wir müssen zuerst das Ich (Ego) zerstören (Haumai).

6. Charakter und Moral:
Wenn der Geist unrein ist, kann er sich mit dem Göttlichen nicht vereinen. 
Guru Nanak Sahib sagt: "Die Wahrheit ist zweifellos hoch, noch höher ist die wahrheitsgemäße Lehre." Der einzige Grundstein für die Entwicklung des Charakters ist: Das Überwinden der fünf tödlichen Sünden: Lust, Zorn, Gier, Anhaftung und falscher Stolz, ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg der Nachfolge.

7. Familienleben: 
Wer in der Familie, mit der Familie lebt, arbeitet, mit einander teilt und Bedürftigen hilft, kennt den wahren Weg des Lebens.
Verheiratete Familien sind im Leben bevorzugt.


 

Abschließend möchte ich auf ein kleines Video aufmerksam machen, das bei Youtube zu

sehen ist unter dem Titel „Der goldene Tempel von Amritsar“. Viel Vergnügen.