Muammer Akkoyun-Keupstraße 40

 

Muammer Akkoyun – dessen Vorname „langes Leben“ bedeutet – wurde 1939 in Izmit geboren, einer geschichtlichen und wirtschaftlich bedeutsamen kleine Stadt (Heute über ein Millionen Einwohner)östlich von Istanbul. Seine Eltern waren erst in den zwanziger Jahren aus Thessaloniki in die Türkei gekommen, im Zug des Bevölkerungsaustauschs nach dem Zerfall des osmanischen Reichs, der Machtübernahme von Mustafa Kemal Pascha und den darauf folgenden bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen der Türkei und Griechenland. Nach einem zweijährigen Mathematik- und Chemiestudium an der Universität in Istanbul war er unter der damals herrschenden Militärjunta wegen politischer Aktivitäten gezwungen die Türkei zu verlassen. Eigentlich hatte er sowieso vor, sein Studium im Ausland fortzusetzen, gegen den Willen seines Vaters, welcher der Meinung war, dass ein Studium leicht zu politischer Radikalisierung führen könne. Er ließ sich dadurch nicht abschrecken und brach 1960 nach Frankfurt am Main auf, wo er anfangs an einer Tankstelle Autos wusch und durch einen Kollegen von Arbeitsmöglichkeiten auf der US-Militärbasis erfuhr. Da er ganz gute Englischkenntnisse hatte, bekam er dort eine Stelle als Schreiner. Gleichzeitig schrieb er sich zum Maschinenbaustudium ein und sah sich schon auf dem besten Weg zum Erfolg. Leider dauerte die Freude nicht lang: er musste zurück in die Türkei um seinen Militärdienst zu absolvieren. Immerhin durfte er als Lehrer in einem Dorf in Ostanatolien arbeiten, bis er 1963 im Rang eines Leutnant aus der Armee entlassen wurde und zurück nach Frankfurt reisen durfte. Kurz vor seiner Entlassung hatte er in Pamukkale fünf junge deutsche Touristen getroffen und sich mit ihnen angefreundet. Einer von ihnen arbeitete als Chemiker bei der einer Firma in Köln-Delbrück und durch seine Vermittlung bekam er in der Firma Rheinisches Spritzgusswerk in Dellbrück, die vor allem Plastikteile für die Autoindustrie herstellte eine Arbeitsstelle, und Muammer Akkoyun zog im April 1964 von Frankfurt zuerst nach Odenthal, und dann auf Empfehlung eines türkischen Freundes, der ihm erzählt hatte, dass in Mülheim viele Türken lebten, in die Keupstraße N° 40. Im Erdgeschoss des Hauses befand sich die Gastwirtschaft Fassbender. Hier pflegte er sich mit seinen türkischen Freunden zu treffen. Und hier lernte er die Familie Fassbender kennen.

Wilhelm Fassbender, 21.Juli 1964 in seiner Gaststätte
Wilhelm Fassbender, 21.Juli 1964 in seiner Gaststätte
Johann Witt, Pächter der Gaststätte Fassbender, mit Tochter Gerdi und Muammer Akkoyun 1966
Johann Witt, Pächter der Gaststätte Fassbender, mit Tochter Gerdi und Muammer Akkoyun 1966

Muammer sprach inzwischen recht gut Deutsch und kannte sich auch sonst ganz gut mit den Verhältnissen in seiner neuen Heimat aus. Er wurde deshalb oft gebeten zu übersetzen, Formulare auszufüllen oder Landsleute auf Behördengänge zu begleiten. 1965 bot ihm der Gastwirt zusätzlich zu seiner Arbeit in der Dellbrücker Firma einen Job als Kellner an, aber er fungierte oft auch als Schlichter bei den damals recht häufigen Streitereien und Schlägereien zwischen den türkischen, kurdischen und deutschen Gästen: „Jede Woche berichteten sie im Radio über Schlägereien in der Gaststätte Fassbender!“ Der Anlass dafür war meist eine Frau.

 

Im Lauf der Zeit hatte sich ein recht inniges Verhältnis zwischen ihm und der damals fünfzehnjährigen Tochter des Gastwirts entwickelt, das der Vater auf keinen Fall dulden wollte. Also zog er nach Merheim, aber jeden Tag brachte er seine Gerdi zur Berufsschule und holte sie wieder ab, um dann spät in der Nacht zu Fuß nach Hause zu laufen, weil so spät keine Straßenbahn und Bus nach Merheim fuhr. So kam es manchmal vor, dass er bei seiner Arbeit in der Dellbrücker Firma vor Müdigkeit zusammenbrach.

 

Nachdem Gerdi schwanger wurde und in den Hungerstreik trat, gaben die Eltern schweren Herzens nach und erlaubten die Heirat, aber nicht ehe er Mutter und Tochter nach Izmit gebracht und sie mit seinen Eltern bekannt gemacht hatte. Nachdem er seinem Vater geschworen hatte, dass er stets seiner Verantwortung gegenüber seiner türkischen und seiner neuen deutschen Familie gerecht werden würde, hatte er auch dessen Segen. Nach unendlichen behördlichen Schwierigkeiten konnten sie am 24. Juni 1966 endlich heiraten, kurz bevor ihre erste Tochter, Aylin, geboren wurde. 1971 kam die zweite Tochter, Britta, auf die Welt, und 1974 folgte der Sohn Roger Mehmet Johann. Während dieser Zeit wohnten sie in einer Wohnung über der Gaststätte.

 

Familie Akkoyun 1979 vor dem Eingang zum Kölner Zoo (Roger, Gerdi und Muammer, Aylin und Britta)
Familie Akkoyun 1979 vor dem Eingang zum Kölner Zoo (Roger, Gerdi und Muammer, Aylin und Britta)
Keupstraße 36-40 und Johann Witt vor seiner Gaststätte September 1980
Keupstraße 36-40 und Johann Witt vor seiner Gaststätte September 1980

Gleichzeitig entwickelte er sich beruflich weiter: 1969 übernahm er für kurze Zeit den Hähnchengrill in der Keupstraße 92, renovierte Haus und Laden, musste dann aber beides aufgeben, als er wegen Waffenbesitzes verhaftet wurde. Von 1971 bis 1974 war er bei der Firma Strabag in der auf Computer umgestellten Buchhaltung angestellt. 1974 eröffnete er mit einem deutschen Fachmann in der Keupstraße 38 ein Büro für Übersetzungen, Flugtickets, Buchhaltung. Er führte damals über 20 Buchhaltungen von türkischen Geschäftsleuten, überwiegend aus der Keupstraße. Nebenbei war er auch als Immobilienmakler tätig.

Muammers 1. Büro 1974 in der Keupstraße 38
Muammers 1. Büro 1974 in der Keupstraße 38

1992 eröffnete er mit drei deutschen Rechtsanwälten aus Aachen ein Rechtsberatungsbüro im Haus Ecke Heidkampstraße/Keupstraße, das bis dahin eine Bank beherbergt hatte, das er dann bis 1995 mit einer Kölner Rechtsanwältin führte. Später zogen sie in Räume über der Firma Harbeke am Clevischen Ring, bis er das Geschäft an eine Rechtsanwaltskanzlei verkaufte. „Ich war damals eine Art Stammesältester der türkischen Community in Mülheim, ja sogar darüber hinaus. Manchmal riefen mich Leute an, die inzwischen nach Berlin oder anderswohin gezogen waren, und baten mich um Rat und Schutz.“

Keupstraße 32, Muammars Büro ca 1995
Keupstraße 32, Muammars Büro ca 1995

1980 kaufte er ein Haus in Longerich, in das er mit seiner Familie nach umfangreichen Umbauarbeiten 1984 einziehen konnte. Anfang des Jahres 2000 beschlossen er und seine Frau durch verschieden Gründe Köln zu verlassen und in die Nähe ihrer Tochter Aylin bzw. zu ihren erste Enkel umzuziehen., sie verkauften das Haus und ein neues Domizil in Waldbröl aufzubauen, um der Familie seiner Tochter (die inzwischen zwei Jungen hat) näher zu sein. Vor vier Jahren ist seine Frau an Krebs gestorben, nach 45 sehr glücklichen Ehejahren:„Sie war mein Ein und Alles, ich habe sie abgöttisch geliebt.“ Glücklicherweise sind seine Kinder in Reichweite. Seine zweite Tochter, die auch zwei Kinder hat, lebt in Köln-Weidenbruch, sein Sohn Roger, der Anfang 2015 zurück in die Keupstraße zog, wo er bis zu seinem 14. Lebensjahr aufgewachsen ist. Vater und Sohn finden, dass es die sehr persönlichen Beziehungen, die noch bis in die 90er Jahre zwischen den Bewohnern der Keupstraße herrschten, leider nicht mehr gibt, alles sei sehr viel anonymer geworden. Auch ist die Vielfalt verloren gegangen. Jetzt ist es eine rein türkische Straße. Aber sie sind sich einig: „Die Keupstraße ist immer noch ein spezielles kleines Universum.“

 

Karneval in der Keupstraße 1981
Karneval in der Keupstraße 1981
Karneval bei Fassbender 1981
Karneval bei Fassbender 1981

Im Okktober 2015 trafen sich Willi Hungenberg (Jg 1935), mit dem Eva Bruchhaus diese Interviewreihe in 2014 eröffnet hat, und Muammar Akkoyun (Jg 1939) mit Helmut Goldau von der Geschichtswerkstatt zu einem Gespräch über die Gemeinsamkeiten ihres Lebens in der Keupstraße. Dabei sind die folgenden Aufnahmen entstanden.

Muammer Akkoyun mit Willi Hungenberg am 22.10.2015 Eicafe Wiener Platz Galerie

Muammer 2015 vor der ehemaligen Gaststätte seiner Schwiegereltern
Muammer 2015 vor der ehemaligen Gaststätte seiner Schwiegereltern